Die Braut von Corinth

»Nach Corinthus von Athen gezogen …«

Informationen zum Text

Art des Textes
Gedicht
Titel (normiert, vorläufig)
Die Braut von Corinth
Gedichtanfang (normiert, vorläufig)
»Nach Corinthus von Athen gezogen …«
Quelle der vorläufigen Titeldaten
WA I 1,219
Kennung in der Forschungsdatenbank so:fie
93091
Kennung in der Gemeinsamen Normdatei
4614462-6

Historisch überlieferte Fassungen

Die Braut von Korinth.

Synoptische Ansicht nicht verfügbar

Nach Corinthus von Athen gezogen
Kam ein Jüngling, dort noch unbekannt,
Einen Bürger hofft' er sich gewogen,
Beyde Väter waren gastverwandt,
Hatten frühe schon
Töchterchen und Sohn
Braut und Bräutigam, voraus, genannt.
Aber wird er auch willkomen scheinen,
Wenn er theuer nicht die Gunst erkauft?
Er ist noch ein Heide mit den Seinen,
Und sie sind schon Christen und getauft.
Keimt ein Glaube neu,
Wird oft Lieb' und Treu
Wie ein böses Unkraut ausgerauft.
Und schon lag das ganze Haus im stillen Stillen ,
Vater, Töchter, nur die Mutter wacht,
Sie empfängt den Gast mit bestem Willen,
Gleich ins Prunckgemach wird er gebracht;
Wein und Essen prangt,
Eh' er es verlangt,
So versorgend wünscht sie gute Nacht.
Aber bey dem wohlbestellten Essen
Wird die Lust der Speise und Trank nicht erregt,
Müdigkeit läßt Speis' und Trank vergessen
Daß er angekleidet sich aufs Bette legt,.
Und er schlummert fast,
Als ein seltner Gast
Sich zur offenen Thür hereinbewegt.
Denn er sieht, bey seiner Lampe Schimmer,
Tritt mit weißem Schleyer Schleier und Gewand,
Sittsam still ein Mädchen in das Zimmer,
Um die Stirn' ein schwarz und goldnes Band;
Wie sie ihn erblickt
Hebt sie, die erschrickt,
Mit Erstaunen eine weiße Hand.
Bin ich, rief sie aus, so fremd im Häuse
Daß ich von dem Gaste nichts vernahm?
Ach! so hält man mich in meiner Klause!
Und nun überfällt mich hier die Schaam.
Ruhe nur so fort,
Auf dem Lager dort
Und ich gehe schnell so wie ich kam.
Bleibe schäues Mädchen! ruft der Knabe,
Rafft von seinem Lager sich geschwind,
Hier ist Ceres, hier ist Bachus Gabe
Und du bringst den Amor liebes Kind!
Bist' für vor Schrecken blaß!
Liebe komm und laß,
Laß uns sehn wie froh die Götter sind.
Ferne bleib, o Jüngling! bleibe stehen,
Ich gehöre nicht den Freuden an,
Schon der letzte Schritt ist, ach! geschehen,
Durch der guten Mutter kranken Wahn,
Die genesend schwur:
Jugend und Natur
Sey dem Himmel künftig unterthan.
Und schon wechseln sie der Treue Zeichen,
Golden reicht sie ihm die Kette dar,
Und er will ihr eine Schaale reichen,
Silbern, künstlich wie nicht eine war.
Die ist nicht für mich;
Doch ich bitte dich
Eine Locke gieb von deinem Haar.
Eben schlug die dumpfe Geisterstunde
Und nun schien es ihr erst wohl zu seyn.
Gierig schlürfte sie, mit blassem Munde,
Nun den dunkel blutgefärbten Wein;
Doch vom Waizenbrot,
Das er freundlich bot,
Nahm sie nicht den kleinsten Bissen ein.
Und dem Jüngling reichte sie die Schaale,
Der, wie sie, nun hastig lüstern trank.
Liebe fordert er beim stillen Mahle,
Ach! sein armes Herz war liebekrank,
Doch sie wiedersteht,
Wie er immer fleht,
Bis er weinend auf das Bette sank.
Und sie kommt und wirft sich zu ihm nieder:
Ach! wie ungern seh' ich dich gequält!
Aber ach! berührst du meine Glieder,
Fühlst du schaudernd was ich dir verheelt,
Wie der Schnee so weiß,
Aber kalt wie Eis
Ist das Liebchen das du dir erwählt.
Und der alten Götter bunt Gewimmel
Hat saglich das stille Haus geleert,
Unsichtbar wird Einer nur im Himmel,
Und ein Heilandwird am Kranz verehrt;
Opfer fallen hier,
Weder Lamm noch stier Stier,
Aber Menschenopfer unerhört.
Und er fragt und wäget alle Worte,
Deren keines seinem Geist entgeht,
Ist es möglich? daß am stillen Orte
Die geliebte Braut hier vor mir steht!
Sey die meine nur!
Unserer Väter Schwur
Hat vom Himmel Segen uns erfleht.
Mich erhältst du nicht, du gute Seele,
Meiner zweyten Schwester gönnt man dich,
Wenn ich mich in stiller Klause quäle,
Ach! in ihren Armen denk' an mich,
Die an dich nur denkt,
Die sich liebend kränkt,
In die Erde bald verbiegt sie sich.
Nein! bey dieser Flamme sey's geschworen,
Gütig zeigt sie Hymen uns voraus,
Bist der Freude nicht und mir verlohren verloren ,
Kommst mit mir in meines Vaters Haus.
Liebchen bleibe hier,
Feyre gleich mit mir
Unerwartet unsern Hochzeitschmaus.
Heftig faßt er er sie, mit starken Armen,
Von der Liebe Jugendkraft durchmannt:
Hoffte doch bey mir noch zu erwarmen,
Wär'st du selbst mir aus dem Grab gesandt!
Wechselhauch und Kuß!
Liebesüberfluß!
Brennst du nicht und fühlest mich entbrannt?
Liebe schließet fester sie zusammen,
Thränen mischen sich in ihre Lust;
Gierig saugt sie seines Mundes Flammen,
Eins ist nur im andern sich bewußt.
Seine Liebeswuth
Wärmt ihr starres Blut;
Doch es schlägt kein Herz in ihrer Brust.
Unterdessen schleichet auf dem Gange,
Häuslich spät, die Mutter noch vorbey,
Horchet am der Thür und horchet lange,
Welch ein sonderbarer Ton es sey?
Klag und Wonne laut,
Bräutigams und Braut,
Und des Liebestammelns Raserey.
Unbewegkich bleibt sie an der Thüre,
Weil sie erst sich überzeugen muß,
Und sie hört die höchsten Liebesschwüre,
Lieb' und Schmeichelworte, mit Verdruß -
Still! der Hahn erwacht! -
Aber Morgennacht morgen Nacht
Bist du wieder da? - und Kuß auf Kuß.
Länger hält die Mutter nicht das Zürnen,
Öffnet das bekannte Schloß geschwind -
Giebt es hier im Hause solche Dirnen
Die dem Fremden gleich zu Willen sind? -
So zur Thür hinein!
Bey der Lampe Schein
Sieht sie, Gott! Sie sieht ihr eigen Kind.
Und der Jüngling will im ersten Schrecken,
Mit des Mädchens eignem Schleyerflor Schleierflor ,
Mit dem Teppich die Geliebte decken,
Doch sie windet gleich sich selbst hervor;
Wie mit Geist-Gewalt
Hebet die Gestalt,
Lang und langsam sich im Bett' empor.
Mutter! Mutter! spricht sie hohle Worte,
So mißgönnt ihr mir die schöne Nacht!
Ihr vertreibt mich von dem warmen Orte,
Bin ich zur Verzweiflung nur erwacht?
Ist's euch nicht genug
Daß ins Leichentuch,
Daß ihr früh mich in das Grab gebracht?
Aber aus der schwerbedeckten Enge
Treibet mich ein eigenes Gericht,
Eurer Priester summende Gesänge
Und ihr Segen haben kein Gewicht;
Salz und Wasser kühlt
Nicht wo Jugend fühlt,
Ach! die Erde kühlt die Liebe nicht.
Dieser Jüngling war mir erst versprochen,
Als noch Venus heitrer Tempel stand.
Mutter habt ihr doch das Wort gebrochen,
Weil ein Freund, ein falsch Gelübd' euch band!
Doch kein Gott erhört,
Wenn die Mutter schwört
Zu versagen ihrer Tochter Hand.
Aus dem Grabe werd' ich ausgetrieben,
Noch zu suchen das vermißte Gut,
Noch den schon verlohrnen verlornen Mann zu lieben,
Und zu saugen seines Herzens Blut.
Ist's um den geschehn
Muß nach andern gehn,
Und das junge Volk erliegt der Wuth.
Schöner Jüngling! kannst nicht länger leben,
Du versiechest nun an diesem Ort;
Meine Kette hab ich dir gegeben,
Deine Locke nehm' ich mit mir fort.
Sieh sie an genau,
Morgen bist du grau
Und nur braun erscheinst du wieder dort.
Höre Mutter um die letzte Bitte:
Einen Scheiterhaufen schufte du.
Oeffne meine bange kleine Hütte,
Bring in Flammen Liebende zur Ruh.
Wenn der Funke sprüht,
Wenn die Asche glüht,
Eilen wir den alten Göttern zu.

Handschriften und Drucke

Sigle Titel Überlieferungsform
🚧 H.5 Balladen und Romanzen, Ab … Abschrift

Kontexte

Relation Bezugsentität Quelle
verfasst von Johann Wolfgang Goethe H.5
überliefert in Handschrift H.5
Vorheriger Nachbar in der Überlieferung Die erste Walpurgisnacht H.5