Zweyte Sammlung
Wenn der uralte,
Heilige Vater
Mit gelassener Hand
Aus rollenden Wolken
Segnende Blitze
Über die Erde sä’t,
Küß’ ich den letzten
Saum seines Kleides,
Kindliche Schauer
Treu in der Brust.
Denn mit Göttern
Soll sich nicht messen
Irgend ein Mensch.
Hebt er sich aufwärts,
Und berührt
Mit dem Scheitel die Sterne,
Nirgends haften dann
Die unsichern Sohlen,
Und mit ihm spielen
Wolken und Winde.
Steht er mit festen,
Markigen Knochen
Auf der wohlgegründeten,
Dauernden Erde;
Reicht er nicht auf,
Nur mit der Eiche
Oder der Rebe
Sich zu vergleichen.
Was unterscheidet
Götter von Menschen?
Daß viele Wellen
Vor jenen wandeln,
Ein ewiger Strom:
Uns hebt die Welle,
Verschlingt die Welle,
Und wir versinken.
Ein kleiner Ring
Begränzt unser Leben,
Und viele Geschlechter
Reihen sich dauernd
An ihres Daseyns
Unendliche Kette.
Edel sey der Mensch,
Hülfreich und gut!
Denn das allein
Unterscheidet ihn
Von allen Wesen,
Die wir kennen.
Heil den unbekannten
Höhern Wesen,
Die wir ahnden!
Sein Beyspiel lehr’ uns
Jene glauben.
Denn unfühlend
Ist die Natur:
Es leuchtet die Sonne
Über Bös’ und Gute,
Und dem Verbrecher
Glänzen wie dem Besten
Der Mond und die Sterne.
Wind und Ströme,
Donner und Hagel
Rauschen ihren Weg,
Und ergreifen,
Vorüber eilend,
Einen um den andern.
Auch so das Glück
Tappt unter die Menge,
Faßt bald des Knaben
Lockige Unschuld,
Bald auch den kahlen
Schuldigen Scheitel.
Nach ewigen, ehrnen,
Großen Gesetzen,
Müssen wir alle
Unseres Daseyns
Kreise vollenden.
Nur allein der Mensch
Vermag das Unmögliche:
Er unterscheidet,
Wählet und richtet;
Er kann dem Augenblick
Dauer verleihen.
Er allein darf
Dem Guten lohnen,
Den Bösen strafen;
Heilen und retten
Alles Irrende, Schweifende
Nützlich verbinden.
Und wir verehren
Die Unsterblichen,
Als wären sie Menschen,
Thäten im Großen,
Was der Beste im Kleinen
Thut oder möchte.
Der edle Mensch
Sey hülfreich und gut!
Unermüdet schaff’ er
Das Nützliche, Rechte,
Sey uns ein Vorbild
Jener geahndeten Wesen!
Dich ergriff mit Gewalt der alte Herrscher des Flusses,
Hält dich und theilet mit dir ewig sein strömendes Reich.
Ruhig schlummerst du nun beym stilleren Rauschen der Urne,
Bis dich stürmende Fluth wieder zu Thaten erweckt.
Sey dann hülfreich dem Volke, wie du es Sterblicher wolltest,
Und vollend’ als ein Gott, was dir als Menschen mißlang.
Eine flache Furche bedeckt den goldenen Samen,
Eine tiefere deckt endlich dein ruhend Gebein.
Pflüge fröhlich und säe, hier keimet Nahrung dem Leben,
Und die Hoffnung entfernt selbst von dem Grabe sich nicht.
Wo die Rose hier blüht, wo Reben um Lorber sich schlingen,
Wo das Turtelchen lockt, wo sich das Grillchen ergetzt,
Welch ein Grab ist hier, das alle Götter mit Leben
Schon bepflanzt und geziert? Es ist Anakreons Ruh.
Frühling, Sommer und Herbst genoß der glückliche Dichter,
Vor dem Winter hat ihn endlich der Hügel geschützt.
Schlummer und Schlaf, zwey himmlische Brüder, die Göttern nur dienten,
Bath sich Prometheus herab, seinem Geschlechte zum Trost;
Doch was Göttern leicht, wird Menschen schwer zu ertragen;
So ward ihr Schlummer uns Schlaf, so ward ihr Schlaf uns zum Tod.
Eine Sanduhr in jeglicher Hand erblick’ ich den Amor;
Wie? der leichtsinnige Gott, mißt er uns doppelt die Zeit?
Langsam rinnen aus einer die Stunden entfernter Geliebten,
Gegenwärtigen fließt eilig die zweyte herab.
Wecke nicht den Amor, es schläft der liebliche Knabe;
Geh’, vollbring’ dein Geschäft, wie es der Tag dir gebeut!
Klug gebrauchet der Zeit so eine sorgliche Mutter,
Wenn ihr Knäbchen entschläft, denn es erwacht nur zu bald.
Die ihr Felsen und Bäume bewohnt, o heilsame Nymphen,
Gebet jeglichem gern, was er im Stillen begehrt!
Schaffet dem Traurigen Trost, dem Zweifelhaften Belehrung,
Und dem Liebenden gönnt, daß ihm begegne sein Glück.
Denn euch gaben die Götter, was sie den Menschen versagten,
Jeglichem, der euch vertraut, hülfreich und tröstlich zu seyn.
Was die gute Natur weislich nur vielen vertheilet,
Gab sie mit reichlicher Hand alles der Einzigen ihr:
Und die so herrlich begabte, die von so vielen verehrte
Gab ein liebend Geschick freundlich dem Glücklichen, mir.