In seiner Werkstatt Sonntags früh
Steht unser theurer Meister hie,
Sein schmutzig Schurzfell abgelegt,
Einen saubern Feyerwamms er trägt.
Läßt Pechdraht, Hammer und Kneipe rasten,
Die Ahl steckt an dem Arbeitskasten;
Er ruht nun auch am sieb’nten Tag
Von manchem Zug und manchem Schlag.
Wie er die Frühlings-Sonne spürt,
Die Ruh ihm neue Arbeit gebiert:
Er fühlt, daß er eine kleine Welt
In seinem Gehirne brütend hält,
Daß die fängt an zu wirken und leben,
Daß er sie gerne möcht von sich geben.
Er hätt ein Auge treu und klug,
Und wär auch liebevoll genug,
Zu schauen manches klar und rein,
Und wieder alles zu machen sein;
Hätt auch eine Zunge, die sich ergoß,
Und leicht und fein in Worte floß;
Deß thäten die Musen sich erfreun,
Wollten ihn zum Meistersänger weihn.
Da tritt herein ein junges Weib,
Mit voller Brust und rundem Leib,
Kräftig sie auf den Füßen steht,
Gar edel vor sich hin sie geht,
Ohne mit Schlepp und Steiß zu schwenzen,
Oder mit den Augen herum zu scharlenzen.
Sie trägt einen Maßstab in ihrer Hand,
Ihr Gürtel ist ein gülden Band,
Hätt auf dem Haupt einen Kornähr-Kranz,
Ihr Auge war lichten Tages Glanz;
Man nennt sie thätig Ehrbarkeit,
Sonst auch Großmuth, Rechtfertigkeit.
Die tritt mit gutem Gruß herein;
Er drob nicht mag verwundert seyn,
Denn wie sie ist, so gut und schön,
Meynt er, er hätt sie lang gesehn.
Die spricht: ich habe dich auserlesen,
Vor vielen in dem Weltwirrwesen,
Daß du sollst haben klare Sinnen,
Nichts ungeschicklichs magst beginnen.
Wenn andre durch einander rennen,
Sollst dus mit treuem Blick erkennen;
Wenn andre bärmlich sich beklagen,
Sollst schwankweis deine Sach fürtragen;
Sollst halten über Ehr und Recht,
In allem Ding seyn schlicht und schlecht,
Frummkeit und Tugend bieder preisen,
Das Böse mit seinem Nahmen heißen.
Nichts verlindert und nichts verwitzelt,
Nichts verzierlicht und nichts verkritzelt;
Sondern die Welt soll vor dir stehn,
Wie Albrecht Dürer sie hat gesehn,
Ihr festes Leben und Männlichkeit,
Ihre innre Kraft und Ständigkeit.
Der Natur Genius an der Hand
Soll dich führen durch alle Land,
Soll dir zeigen alles Leben,
Der Menschen wunderliches Weben,
Ihr Wirren, Suchen, Stoßen und Treiben,
Schieben, Reißen, Drängen und Reiben,
Wie kunterbunt die Wirthschaft tollert,
Der Ameishauf durcheinander kollert;
Mag dir aber bey allem geschehn,
Als thätst in einen Zauberkasten sehn.
Schreib das dem Menschenvolk auf Erden,
Obs ihm möcht eine Witzung werden.
Da macht sie ihm ein Fenster auf,
Zeigt ihm draußen viel bunten Hauf,
Unter dem Himmel allerley Wesen,
Wie ihrs mögt in seinen Schriften lesen.
Wie nun der liebe Meister sich
An der Natur freut wunniglich,
Da seht ihr an der andern Seiten
Ein altes Weiblein zu ihm gleiten;
Man nennet sie Historia,
Mythologia, Fabula;
Sie schleppt mit Keichen und wankenden Schritten
Eine große Tafel in Holz geschnitten;
Darauf seht ihr mit weiten Ermeln und Falten
Gott Vater Kinderlehre halten,
Adam, Eva, Paradies und Schlang,
Sodom und Gomorras Untergang,
Könnt auch die zwölf durchlauchtigen Frauen
Da in einem Ehren-Spiegel schauen;
Dann allerley Blutdurst, Frevel und Mord,
Der zwölf Tyrannen Schandenport,
Auch allerley Lehr und gute Weis.
Könnt sehn St. Peter mit der Gaiß,
Über der Welt Regiment unzufrieden,
Von unserm Herrn zurecht beschieden.
Auch war bemalt der weite Raum
Ihres Kleids und Schlepps und auch der Saum
Mit weltlich Tugend und Laster Geschicht.
Unser Meister das all ersicht
Und freut sich dessen wundersam,
Denn es dient sehr in seinen Kram.
Von wannen er sich eignet sehr
Gut Exempel und gute Lehr,
Erzählt das eben fix und treu,
Als wär er selbst gesyn dabey.
Sein Geist war ganz dahin gebannt,
Er hätt kein Auge davon verwandt,
Hätt er nicht hinter seinem Rucken
Hören mit Klappern und Schellen spucken.
Da thät er einen Narren spüren
Mit Bocks- und Affensprüng hofiren,
Und ihm mit Schwank und Narretheyden
Ein lustig Zwischenspiel bereiten.
Schleppt hinter sich an einer Leinen
Alle Narren, groß und kleinen,
Dick und hager, gestreckt und krumb,
All zu witzig und all zu dumb.
Mit einem großen Farrenschwanz
Regiert er sie wie ein’n Affentanz.
Bespöttet eines jeden Fürm,
Treibt sie ins Bad, schneidt ihnen die Würm,
Und führt gar bitter viel Beschwerden,
Daß ihrer doch nicht wollen wen’ger werden.
Wie er sich sieht so um und um,
Kehrt ihm das fast den Kopf herum,
Wie er wollt Worte zu allem finden?
Wie er möcht so viel Schwall verbinden?
Wie er möcht immer muthig bleiben,
So fort zu singen und zu schreiben?
Da steigt auf einer Wolke Saum
Herein zu’s Oberfensters Raum
Die Muse, heilig anzuschauen,
Wie ein Bild unsrer lieben Frauen.
Die umgiebt ihn mit ihrer Klarheit
Immer kräftig würkender Wahrheit.
Sie spricht: Ich komm um dich zu weihn,
Nimm meinen Segen und Gedeyhn.
Das heilig Feuer, das in dir ruht,
Schlag aus in hohe leichte Glut!
Doch daß das Leben, das dich treibt,
Immer bey holden Kräften bleibt;
Hab ich deinem innern Wesen
Nahrung und Balsam auserlesen,
Daß deine Seel sey wonnereich
Einer Knospe im Thaue gleich.
Da zeigt sie ihm hinter seinem Haus
Heimlich zur Hinterthür hinaus
In dem eng umzäunten Garten
Ein holdes Mägdlein sitzend warten
Am Bächlein, beym Hollunderstrauch;
Mit abgesenktem Haupt und Aug
Sitzt unter einem Apfelbaum
Und spürt die Welt rings um sich kaum,
Hat Rosen in ihren Schoos gepflückt
Und bindet ein Kränzlein sehr geschickt,
Mit hellen Knospen und Blättern drein:
Für wen mag wohl das Kränzel seyn?
So sitzt sie in sich selbst geneigt,
In Hoffnungsfülle ihr Busen steigt,
Ihr Wesen ist so ahndevoll,
Weiß nicht was sie sich wünschen soll,
Und unter vieler Grillen Lauf
Steigt wohl einmal ein Seufzer auf.
Warum ist deine Stirn so trüb?
Das was dich dränget, süße Lieb,
Ist volle Wonn’ und Seligkeit,
Die dir in Einem ist bereit,
Der manches Schicksal wirrevoll
An deinem Auge sich lindern soll;
Der durch manch wunniglichen Kuß
Wiedergeboren werden muß,
Wie er den schlanken Leib umfaßt,
Von aller Mühe findet Rast,
Wie er ins liebe Ärmlein sinkt,
Neue Lebenstäg und Kräfte trinkt.
Und dir kehrt neues Jugendglück,
Deine Schalkheit kehrt dir zurück.
Mit Necken und manchen Schelmereyen
Wirst ihn bald nagen, bald erfreuen.
So wird die Liebe nimmer alt,
Und wird der Dichter nimmer kalt!
Wie er so heimlich glücklich lebt,
Da droben in den Wolken schwebt,
Ein Eichkranz ewig jung belaubt
Den setzt die Nachwelt ihm aufs Haupt,
In Froschpfuhl all das Volk verbannt,
Das seinen Meister je verkannt.
| Sigle | Titel | Überlieferungsform | |
|---|---|---|---|
| oS | Erklärung eines alten Hol … | Konzept, Bruchstück | |
| - | Erklärung eines alten Hol … | Abschrift | |
| 🚧 | 🚧 | 🚧 | |
| Hagen-Nr. 545 | Der Teutsche Merkur vom J … | Druck | |
| H.27a | Gedichtsammlung, Abschrif … | Abschrift | |
|
s.3 | J. W. Goethens Schriften … | Druck |
| S 8 | Goethe’s Schriften. Achte … | Druck | |
|
GSA 25/W 2 | Vermischte Gedichte, Zwey … | 🚧 |
| Relation | Bezugsentität | Quelle |
|---|---|---|
| verfasst von | Johann Wolfgang Goethe | oS, -, 🚧, H.27a, GSA 25/W 2 , Hagen-Nr. 545, s.3, S 8 |
| datiert auf | März/April 1776 | Brüning/Henke 2025 |
| datiert auf | Anfang 1776 | Eibl 1,1059 |
| datiert auf | bis 27. April 1776 | GB 3.2 A, Nr. 135, 305 |
| datiert auf | zwischen dem 27. März und 27. April 1776 | MA 2.1, 550 |
| überliefert in | 5 Handschriften | oS, -, 🚧, H.27a, GSA 25/W 2 |
| überliefert in | 3 Drucken | Hagen-Nr. 545, s.3, S 8 |
| Teil von | Vermischte Gedichte, Zweyte Sammlung | GSA 25/W 2 |
| Vorheriger Nachbar in der Überlieferung | Christel | 🚧 |
| Vorheriger Nachbar in der Überlieferung | Monolog des Liebhabers | Hagen-Nr. 545 |
| Vorheriger Nachbar in der Überlieferung | Mit einem gemahlten Band | H.27a |
| Vorheriger Nachbar in der Überlieferung | Künstlers Morgenlied | s.3 |
| Vorheriger Nachbar in der Überlieferung | Guter Rath | S 8, GSA 25/W 2 |
| Nächster Nachbar in der Überlieferung | An Lottchen | 🚧 |
| Nächster Nachbar in der Überlieferung | Der Wandrer | s.3 |
| Nächster Nachbar in der Überlieferung | Auf Miedings Tod | S 8, GSA 25/W 2 |