Vermischte Gedichte

Zweyte Sammlung

Klaggesang von der edeln Frauen des Asan Aga

Zur Ansicht im Bereich »Wissen«

Was ist weißes dort am grünen Walde?

Ist es Schnee wohl, oder sind es Schwäne?

Wär’ es Schnee, er wäre weggeschmolzen;

Wären’s Schwäne, wären weggeflogen.

Ist kein Schnee nicht, es sind keine Schwäne,

’s ist der Glanz der Zelten Asan Aga.

Niederliegt er drin an seiner Wunde;

Ihn besucht die Mutter und die Schwester;

Schamhaft säumt sein Weib zu ihm zu kommen.

Als nun seine Wunde linder wurde,

Ließ er seinem treuen Weibe sagen:

„Harre mein nicht mehr an meinem Hofe,

Nicht am Hofe und nicht bey den Meinen.“

Als die Frau dieß harte Wort vernommen,

Stand die Treue starr und voller Schmerzen,

Hört der Pferde Stampfen vor der Thüre,

Und es däucht ihr, Asan käm’, ihr Gatte,

Springt zum Thurme, sich herab zu stürzen.

Ängstlich folgen ihr zwey liebe Töchter,

Rufen nach ihr, weinend bittre Thränen:

„Sind nicht unsers Vaters Asans Rosse,

Ist dein Bruder Pintorowich kommen!“

Und es kehret die Gemahlinn Asans,

Schlingt die Arme jammernd um den Bruder:

„Sieh die Schmach, o Bruder, deiner Schwester!

Mich verstoßen! Mutter dieser fünfe!“

Schweigt der Bruder, ziehet aus der Tasche,

Eingehüllet in hochrothe Seide,

Ausgefertiget den Brief der Scheidung,

Daß sie kehre zu der Mutter Wohnung,

Frey sich einem andern zu ergeben.

Als die Frau den Trauer-Scheidbrief sahe,

Küßte sie der beyden Knaben Stirne,

Küßt’ die Wangen ihrer beyden Mädchen.

Aber ach! vom Säugling in der Wiege

Kann sie sich im bittern Schmerz nicht reißen!

Reißt sie los der ungestüme Bruder,

Hebt sie auf das muntre Roß behende,

Und so eilt er mit der bangen Frauen

G’rad’ nach seines Vaters hoher Wohnung.

Kurze Zeit war’s, noch nicht sieben Tage;

Kurze Zeit g’nug; von viel großen Herren

Unsre Frau in ihrer Wittwen-Trauer,

Unsre Frau zum Weib begehret wurde.

Und der größte war Imoskis Cadi;

Und die Frau bath weinend ihren Bruder:

„Ich beschwöre dich bey deinem Leben,

Gib mich keinem andern mehr zur Frauen,

Daß das Wiedersehen meiner lieben

Armen Kinder mir das Herz nicht breche.“

Ihre Reden achtet nicht der Bruder,

Fest, Imoskis Cadi sie zu trauen.

Doch die Gute bittet ihn unendlich:

Schicke wenigstens ein Blatt, o Bruder,

Mit den Worten zu Imoskis Cadi:

„Dich begrüßt die junge Wittib freundlich,

Und läßt durch dieß Blatt dich höchlich bitten,

Daß, wenn dich die Suaten herbegleiten,

Du mir einen langen Schleyer bringest,

Daß ich mich vor Asans Haus verhülle,

Meine lieben Waisen nicht erblicke.“

Kaum ersah der Cadi dieses Schreiben,

Als er seine Suaten alle sammelt,

Und zum Wege nach der Braut sich rüstet,

Mit den Schleyer, den sie heischte, tragend.

Glücklich kamen sie zur Fürstinn Hause,

Glücklich sie mit ihr vom Hause wieder.

Aber als sie Asans Wohnung nah’ten,

Sah’n die Kinder oben ab die Mutter,

Riefen: „Komm zu deiner Halle wieder!

„Iß das Abendbrot mit deinen Kindern.“

Traurig hört’ es die Gemahlinn Asans,

Kehrete sich zu der Suaten Fürsten:

„Laß doch, laß die Suaten und die Pferde

Halten wenig vor der Lieben Thüre,

Daß ich meine Kleinen noch beschenke.“

Und sie hielten vor der Lieben Thüre,

Und den armen Kindern gab sie Gaben;

Gab den Knaben goldgestickte Stiefel,

Gab den Mädchen lange reiche Kleider,

Und dem Säugling, hülflos in der Wiege,

Gab sie für die Zukunft auch ein Röckchen.

Das beyseit sah Vater Asan Aga,

Rief gar traurig seinen lieben Kindern:

„Kehrt zu mir, ihr lieben armen Kleinen!

Eurer Mutter Brust ist Eisen worden,

Fest verschlossen, kann nicht Mitleid fühlen.“

Wie das hörte die Gemahlinn Asans,

Stürzt’ sie bleich den Boden schütternd nieder,

Und die Seel’ entfloh dem bangen Busen,

Als sie ihre Kinder vor sich fliehn sah.

Mahomets Gesang

Zur Ansicht im Bereich »Wissen«

Seht den Felsenquell,

Freudehell,

Wie ein Sternenblick

Über Wolken,

Nährten seine Jugend

Gute Geister

Zwischen Klippen im Gebüsch.

Jünglingfrisch

Tanzt er aus der Wolke

Auf die Marmorfelsen nieder,

Jauchzet wieder

Nach dem Himmel.

Durch die Gipfelgänge

Jagt er bunten Kieseln nach,

Und mit frühem Führertritt

Reißt er seine Bruderquellen

Mit sich fort.

Drunten werden in dem Thal

Unter seinem Fußtritt Blumen,

Und die Wiese

Lebt von seinem Hauch.

Doch ihn hält kein Schattenthal,

Keine Blumen,

Die ihm seine Knie umschlingen,

Ihm mit Liebesaugen schmeicheln:

Nach der Ebne dringt sein Lauf

Schlangenwandelnd.

Bäche schmiegen

Sich gesellig an. Nun tritt er

In die Ebne silberprangend,

Und die Ebne prangt mit ihm,

Und die Flüsse von der Ebne,

Und die Bäche von den Bergen,

Jauchzen ihm und rufen: Bruder!

Bruder, nimm die Brüder mit.

Mit zu deinem alten Vater,

Zu dem ew’gen Ocean,

Der mit ausgespannten Armen

Unser wartet,

Die sich ach! vergebens öffnen,

Seine Sehnenden zu fassen;

Denn uns frißt in öder Wüste

Gier’ger Sand, die Sonne droben

Saugt an unserm Blut, ein Hügel

Hemmet uns zum Teiche! Bruder,

Nimm die Brüder von der Ebne,

Nimm die Brüder von den Bergen

Mit, zu deinem Vater mit.

Kommt ihr alle! –

Und nun schwillt er

Herrlicher, ein ganz Geschlechte

Trägt den Fürsten hoch empor!

Und im rollenden Triumphe

Gibt er Ländern Namen, Städte

Werden unter seinem Fuß.

Unaufhaltsam rauscht er weiter,

Läßt der Thürme Flammengipfel,

Marmorhäuser, eine Schöpfung

Seiner Fülle, hinter sich.

Zedernhäuser trägt der Atlas

Auf den Riesenschultern; sausend

Wehen über seinem Haupte

Tausend Flaggen durch die Lüfte,

Zeugen seiner Herrlichkeit.

Und so trägt er seine Brüder,

Seine Schätze, seine Kinder,

Dem erwartenden Erzeuger

Freudebrausend an das Herz.

Gesang der Geister über den Wassern

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Des Menschen Seele

Gleicht dem Wasser:

Vom Himmel kommt es,

Zum Himmel steigt es,

Und wieder nieder

Zur Erde muß es,

Ewig wechselnd.

Strömt von der hohen,

Steilen Felswand

Der reine Strahl,

Dann stäubt er lieblich

In Wolkenwellen

Zum glatten Fels,

Und leicht empfangen,

Wallt er verschleyernd,

Leisrauschend,

Zur Tiefe nieder.

Ragen Klippen

Dem Sturze entgegen,

Schäumt er unmuthig

Stufenweise

Zum Abgrund.

Im flachen Bette

Schleicht er das Wiesenthal hin,

Und in dem glatten See

Weiden ihr Antlitz

Alle Gestirne.

Wind ist der Welle

Lieblicher Buhler;

Wind mischt vom Grund aus

Schäumende Wogen.

Seele des Menschen,

Wie gleichst du dem Wasser!

Schicksal des Menschen,

Wie gleichst du dem Wind!

Meine Göttinn

Zur Ansicht im Bereich »Wissen«

Welcher Unsterblichen

Soll der höchste Preis seyn?

Mit niemand streit’ ich,

Aber ich geb’ ihn

Der ewig beweglichen,

Immer neuen,

Seltsamsten Tochter Jovis,

Seinem Schooßkinde,

Der Phantasie.

Denn ihr hat er

Alle Launen,

Die er sonst nur allein

Sich vorbehält,

Zugestanden,

Und hat seine Freude

An der Thörinn.

Sie mag rosenbekränzt

Mit dem Lilienstängel

Blumenthäler betreten,

Sommervögeln gebieten,

Und leichtnährenden Thau

Mit Bienenlippen

Von Blüthen saugen:

Oder sie mag

Mit fliegendem Haar

Und düsterm Blicke

Im Winde sausen

Um Felsenwände,

Und tausendfarbig,

Wie Morgen und Abend,

Immer wechselnd,

Wie Mondesblicke,

Den Sterblichen scheinen.

Laßt uns alle

Den Vater preisen!

Den alten, hohen,

Der solch eine schöne,

Unverwelkliche Gattinn

Dem sterblichen Menschen

Gesellen mögen!

Denn uns allein

Hat er sie verbunden

Mit Himmelsband,

Und ihr geboten,

In Freud’ und Elend,

Als treue Gattinn,

Nicht zu entweichen.

Alle die andern

Armen Geschlechter

Der kinderreichen,

Lebendigen Erde

Wandeln und weiden

In dunkelm Genuß

Und trüben Schmerzen

Des augenblicklichen,

Beschränkten Lebens,

Gebeugt vom Joche

Der Nothdurft.

Uns aber hat er

Seine gewandteste,

Verzärtelte Tochter,

Freut euch! gegönnt!

Begegnet ihr lieblich,

Wie einer Geliebten,

Laßt ihr die Würde

Der Frauen im Haus.

Und daß die alte

Schwiegermutter Weisheit

Das zarte Seelchen

Ja nicht beleid’ge!

Doch kenn’ ich ihre Schwester,

Die ältere, gesetztere,

Meine stille Freundinn:

O daß die erst

Mit dem Lichte des Lebens

Sich von mir wende,

Die edle Treiberinn,

Trösterinn, Hoffnung!

Harzreise im Winter

Zur Ansicht im Bereich »Wissen«

Dem Geyer gleich,

Der auf schweren Morgenwolken

Mit sanftem Fittich ruhend

Nach Beute schaut,

Schwebe mein Lied.

Denn ein Gott hat

Jedem seine Bahn

Vorgezeichnet,

Die der Glückliche

Rasch zum freudigen

Ziele rennt:

Wem aber Unglück

Das Herz zusammenzog,

Er sträubt vergebens

Sich gegen die Schranken

Des ehernen Fadens,

Den die doch bittre Schere

Nur Einmal lös’t.

In Dickichts-Schauer

Drängt sich das rauhe Wild,

Und mit den Sperlingen

Haben längst die Reichen

In ihre Sümpfe sich gesenkt.

Leicht ist’s folgen dem Wagen,

Den Fortuna führt,

Wie der gemächliche Troß

Auf gebesserten Wegen

Hinter des Fürsten Einzug.

Aber abseits wer ist’s?

In’s Gebüsch verliert sich sein Pfad,

Hinter ihm schlagen

Die Sträuche zusammen,

Das Gras steht wieder auf,

Die Öde verschlingt ihn.

Ach wer heilet die Schmerzen

Deß, dem Balsam zu Gift ward?

Der sich Menschenhaß

Aus der Fülle der Liebe trank!

Erst verachtet, nun ein Verächter,

Zehrt er heimlich auf

Seinen eignen Werth

In ung’nügender Selbstsucht.

Ist auf deinem Psalter,

Vater der Liebe, ein Ton

Seinem Ohre vernehmlich,

So erquicke sein Herz!

Öffne den umwölkten Blick

Über die tausend Quellen

Neben dem Durstenden

In der Wüste.

Der du der Freuden viel schaffst,

Jedem ein überfließend Maß,

Segne die Brüder der Jagd

Auf der Fährte des Wilds,

Mit jugendlichem Übermuth

Fröhlicher Mordsucht,

Späte Rächer des Unbilds,

Dem schon Jahre vergeblich

Wehrt mit Knütteln der Bauer.

Aber den Einsamen hüll’

In deine Goldwolken,

Umgib mit Wintergrün,

Bis die Rose wieder heranreift,

Die feuchten Haare,

O Liebe, deines Dichters!

Mit der dämmernden Fackel

Leuchtest du ihm

Durch die Furten bey Nacht,

Über grundlose Wege

Auf öden Gefilden;

Mit dem tausendfarbigen Morgen

Lachst du in’s Herz ihm;

Mit dem beitzenden Sturm

Trägst du ihn hoch empor;

Winterströme stürzen vom Felsen

In seine Psalmen,

Und Altar des lieblichsten Danks

Wird ihm des gefürchteten Gipfels

Schneebehangner Scheitel,

Den mit Geisterreihen

Kränzten ahndende Völker.

Du stehst mit unerforschtem Busen

Geheimnißvoll offenbar

Über der erstaunten Welt,

Und schaust aus Wolken

Auf ihre Reiche und Herrlichkeit,

Die du aus den Adern deiner Brüder

Neben dir wässerst.

An Schwager Kronos

Zur Ansicht im Bereich »Wissen«

Spude dich, Kronos!

Fort den rasselnden Trott!

Bergab gleitet der Weg;

Ekles Schwindeln zögert

Mir vor die Stirne dein Zaudern.

Frisch, holpert es gleich,

Über Stock und Steine den Trott

Rasch in’s Leben hinein!

Nun schon wieder

Den erathmenden Schritt

Mühsam Berg hinauf!

Auf denn, nicht träge denn,

Strebend und hoffend hinan!

Weit, hoch, herrlich der Blick

Rings in’s Leben hinein,

Vom Gebirg’ zum Gebirg’

Schwebet der ewige Geist,

Ewigen Lebens ahndevoll.

Seitwärts des Überdachs Schatten

Zieht dich an,

Und der Frischung verheißende Blick

Auf der Schwelle des Mädchens da.

Labe dich – Mir auch, Mädchen,

Diesen schäumenden Trank,

Diesen frischen Gesundheitsblick!

Ab denn, rascher hinab!

Sieh, die Sonne sinkt!

Eh’ sie sinkt, eh’ mich Greisen

Ergreift, im Moore Nebelduft,

Entzahnte Kiefer schnattern

Und das schlotternde Gebein.

Trunknen vom letzten Strahl

Reiß mich, ein Feuermeer

Mir im schäumenden Aug’,

Mich geblendeten Taumelnden

In der Hölle nächtliches Thor.

Töne, Schwager, in’s Horn,

Raßle den schallenden Trab,

Daß der Orcus vernehme: wir kommen,

Daß gleich an der Thüre

Der Wirth uns freundlich empfange.

Seefahrt

Zur Ansicht im Bereich »Wissen«

Lange Tag’ und Nächte stand mein Schiff befrachtet,

Günst’ger Winde harrend, saß mit treuen Freunden,

Mir Geduld und guten Muth erzechend,

Ich im Hafen.

Und sie waren doppelt ungeduldig:

Gerne gönnen wir die schnellste Reise,

Gern die hohe Fahrt dir; Güterfülle

Wartet drüben in den Welten deiner,

Wird Rückkehrendem in unsern Armen

Lieb’ und Preis dir.

Und am frühen Morgen ward’s Getümmel,

Und dem Schlaf entjauchzt uns der Matrose,

Alles wimmelt, alles lebet, webet,

Mit dem ersten Segenshauch zu schiffen.

Und die Segel blühen in dem Hauche,

Und die Sonne lockt mit Feuerliebe,

Ziehn die Segel, ziehn die hohen Wolken,

Jauchzen an dem Ufer alle Freunde

Hoffnungslieder nach, im Freudetaumel

Reisefreuden wähnend, wie des Einschiffmorgens,

Wie der ersten hohen Sternennächte.

Aber gottgesandte Wechselwinde treiben

Seitwärts ihn der vorgesteckten Fahrt ab,

Und er scheint sich ihnen hinzugeben,

Strebet leise sie zu überlisten,

Treu dem Zweck auch auf dem schiefen Wege.

Aber aus der dumpfen, grauen Ferne

Kündet leisewandelnd sich der Sturm an,

Drückt die Vögel nieder auf’s Gewässer,

Drückt der Menschen schwellend Herz darnieder,

Und er kommt. Vor seinem starren Wüthen,

Streckt der Schiffer klug die Segel nieder;

Mit dem angsterfüllten Balle spielen

Wind und Wellen.

Und an jenem Ufer drüben stehen

Freund’ und Lieben, beben auf dem Festen:

Ach warum ist er nicht hier geblieben!

Ach der Sturm! Verschlagen weg vom Glücke!

Soll der Gute so zu Grunde gehen?

Ach er sollte, ach er könnte! Götter!

Doch er stehet männlich an dem Steuer;

Mit dem Schiffe spielen Wind und Wellen;

Wind und Wellen nicht mit seinem Herzen:

Herrschend blickt er auf die grimme Tiefe,

Und vertrauet, scheiternd oder landend,

Seinen Göttern.

Adler und Taube

Zur Ansicht im Bereich »Wissen«

Ein Adlersjüngling hob die Flügel

Nach Raub aus;

Ihn traf des Jägers Pfeil und schnitt

Der rechten Schwinge Sennkraft ab.

Er stürzt herab in einen Myrtenhain,

Fraß seinen Schmerz drey Tage lang,

Und zuckt an Qual

Drey lange, lange Nächte lang:

Zuletzt heilt ihn

Allgegenwärt’ger Balsam

Allheilender Natur.

Er schleicht aus dem Gebüsch hervor

Und reckt die Flügel – ach!

Die Schwingkraft weggeschnitten –

Hebt sich mühsam kaum

Am Boden weg

Unwürd’gem Raubbedürfniß nach,

Und ruht tieftrauernd

Auf dem niedern Fels am Bach;

Er blickt zur Eich’ hinauf,

Hinauf zum Himmel,

Und eine Thräne füllt sein hohes Aug’.

Da kommt muthwillig durch die Myrtenäste

Dahergerauscht ein Taubenpaar,

Läßt sich herab und wandelt nickend

Über goldnen Sand am Bach,

Und ruckt einander an,

Ihr röthlich Auge buhlt umher,

Erblickt den Innigtrauernden.

Der Tauber schwingt neugiergesellig sich

Zum nahen Busch und blickt

Mit Selbstgefälligkeit ihn freundlich an.

Du trauerst, liebelt er,

Sey guten Muthes, Freund!

Hast du zur ruhigen Glückseligkeit

Nicht alles hier?

Kannst du dich nicht des goldnen Zweiges freun,

Der vor des Tages Gluth dich schützt?

Kannst du der Abendsonne Schein

Auf weichem Moos am Bache nicht

Die Brust entgegen heben?

Du wandelst durch der Blumen frischen Thau,

Pflückst aus dem Überfluß

Des Waldgebüsches dir

Gelegne Speise, letzest

Den leichten Durst am Silberquell –

O Freund, das wahre Glück

Ist die Genügsamkeit,

Und die Genügsamkeit

Hat überall genug.

O Weise! sprach der Adler, und tief ernst

Versinkt er tiefer in sich selbst,

O Weisheit! Du redst wie eine Taube!

Prometheus

Zur Ansicht im Bereich »Wissen«

Bedecke deinen Himmel, Zevs,

Mit Wolkendunst,

Und übe, dem Knaben gleich,

Der Disteln köpft,

An Eichen dich und Bergeshöhn;

Müßt mir meine Erde

Doch lassen stehn,

Und meine Hütte, die du nicht gebaut,

Und meinen Herd,

Um dessen Gluth

Du mich beneidest.

Ich kenne nichts ärmers

Unter der Sonn’ als euch, Götter!

Ihr nähret kümmerlich

Von Opfersteuern

Und Gebetshauch

Eure Majestät,

Und darbtet, wären

Nicht Kinder und Bettler

Hoffnungsvolle Thoren.

Da ich ein Kind war,

Nicht wußte wo aus noch ein,

Kehrt’ ich mein verirrtes Auge

Zur Sonne, als wenn drüber wär’

Ein Ohr zu hören meine Klage,

Ein Herz wie mein’s,

Sich des Bedrängten zu erbarmen.

Wer half mir

Wider der Titanen Übermuth?

Wer rettete vom Tode mich

Von Sklaverey?

Hast du nicht alles selbst vollendet,

Heilig glühend Herz?

Und glühtest jung und gut,

Betrogen, Rettungsdank

Dem Schlafenden da droben?

Ich dich ehren? Wofür?

Hast du die Schmerzen gelindert

Je des Beladenen?

Hast du die Thränen gestillet

Je des Geängsteten?

Hat nicht mich zum Manne geschmiedet

Die allmächtige Zeit

Und das ewige Schicksal,

Meine Herrn und deine?

Wähntest du etwa,

Ich sollte das Leben hassen,

In Wüsten fliehen,

Weil nicht alle

Blüthenträume reiften?

Hier sitz’ ich, forme Menschen

Nach meinem Bilde,

Ein Geschlecht, das mir gleich sey,

Zu leiden, zu weinen,

Zu genießen und zu freuen sich,

Und dein nicht zu achten,

Wie ich!

Ganymed

Zur Ansicht im Bereich »Wissen«

Wie im Morgenglanze

Du rings mich anglühst,

Frühling, Geliebter!

Mit tausendfacher Liebeswonne

Sich an mein Herz drängt

Deiner ewigen Wärme

Heilig Gefühl,

Unendliche Schöne!

Daß ich dich fassen möcht’

In diesen Arm!

Ach an deinem Busen

Lieg’ ich, schmachte,

Und deine Blumen, dein Gras

Drängen sich an mein Herz.

Du kühlst den brennenden

Durst meines Busens,

Lieblicher Morgenwind,

Ruft drein die Nachtigall

Liebend nach mir aus dem Nebelthal.

Ich komm’! Ich komme!

Wohin? Ach, wohin?

Hinauf! Hinauf strebt’s.

Es schweben die Wolken

Abwärts, die Wolken

Neigen sich der sehnenden Liebe.

Mir! Mir!

In euerm Schooße

Aufwärts!

Umfangend umfangen!

Aufwärts an deinen Busen,

Alliebender Vater!