Mitten im Getümmel mancher Freuden,
Mancher Sorgen, mancher Herzensnoth,
Denk’ ich dein, o Lottchen, denken dein die beyden,
Wie beym stillen Abendroth
Du die Hand uns freundlich reichtest,
Da du uns auf reichbebauter Flur,
In dem Schooße herrlicher Natur,
Manche leicht verhüllte Spur
Einer lieben Seele zeigtest.
Wohl ist mir’s, daß ich dich nicht verkannt,
Daß ich gleich dich in der ersten Stunde,
Ganz den Herzensausdruck in dem Munde,
Dich ein wahres gutes Kind genannt.
Still und eng und ruhig auferzogen,
Wirft man uns auf Einmal in die Welt,
Uns umspülen hunderttausend Wogen,
Alles reitzt uns, mancherley gefällt,
Mancherley verdrießt uns, und von Stund’ zu Stunden
Schwankt das leichtunruhige Gefühl,
Wir empfinden, und was wir empfunden,
Spült hinweg das bunte Weltgewühl.
Wohl, ich weiß es, da durchschleicht uns innen
Manche Hoffnung, mancher Schmerz.
Lottchen, wer kennt unsre Sinnen?
Lottchen, wer kennt unser Herz?
Ach es möchte gern gekannt seyn, überfließen
In das Mitempfinden einer Kreatur,
Und vertrauend zwiefach neu genießen
Alles Leid und Freude der Natur.
Und da sucht das Aug’ oft so vergebens
Ringsumher, und findet alles zu;
So vertaumelt sich der schönste Theil des Lebens
Ohne Sturm und ohne Ruh’;
Und zu deinem ew’gen Unbehagen
Stößt dich heute, was dich gestern zog.
Kannst du zu der Welt nur Neigung tragen,
Die so oft dich trog,
Und bey deinem Weh, bey deinem Glücke,
Blieb in eigenwill’ger, starrer Ruh’?
Sieh, da tritt der Geist in sich zurücke,
Und das Herz – es schließt sich zu.
So fand ich dich und ging dir frey entgegen.
O sie ist werth zu seyn geliebt!
Rief ich, erflehte dir des Himmels reinsten Segen,
Den er dir nun in deiner Freundinn giebt.
| Sigle | Titel | Überlieferungsform | |
|---|---|---|---|
| 🚧 | 🚧 | 🚧 | |
| Hagen-Nr. 545 | Der Teutsche Merkur vom J … | Druck | |
|
s.3 | J. W. Goethens Schriften … | Druck |
| S 8 | Goethe’s Schriften. Achte … | Druck | |
|
H.3 | Vermischte Gedichte, Erst … | Reinschrift |
| Relation | Bezugsentität | Quelle |
|---|---|---|
| verfasst von | Johann Wolfgang Goethe | 🚧, H.3 , Hagen-Nr. 545, s.3, S 8 |
| hat Bezug zu | Kräuter, Keilschen | H.3 |
| datiert auf | Frühjahr 1775 (?) | Brüning/Henke 2025 |
| datiert auf | 1773 oder 1775 | MA 3.2, 438 |
| datiert auf | Ende 1773 / Anfang 1774 | DjG 4, 339 |
| überliefert in | 2 Handschriften | 🚧, H.3 |
| überliefert in | 3 Drucken | Hagen-Nr. 545, s.3, S 8 |
| Teil von | Vermischte Gedichte, Erste Sammlung | H.3 |
| Vorheriger Nachbar in der Überlieferung | Erklärung eines alten Holzschnittes vorstellend Hans Sachsens poetische Sendung | 🚧 |
| Vorheriger Nachbar in der Überlieferung | Herbstgefühl | s.3 |
| Vorheriger Nachbar in der Überlieferung | Mit einem goldnen Halskettchen | S 8, H.3 |
| Nächster Nachbar in der Überlieferung | Jägers Abendlied | 🚧 |
| Nächster Nachbar in der Überlieferung | Mailied | s.3 |
| Nächster Nachbar in der Überlieferung | Bundeslied | S 8, H.3 |